Hilfe, mein Kind trotzt! Die Autonomiephase besser verstehen und Konflikte liebevoll begleiten
Nov 13, 2024
Die Autonomiephase - umgangssprachlich auch Trotzphase genannt - ist immens wichtig für die Entwicklung deines Kindes. Das Kind lernt in dieser Phase Kompetenzen, die für das spätere Leben ganz wichtig sind!
Aber welche Kompetenzen lernt dein Kind in dieser für alle beteiligten herausfordernden Phase?
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Ihr Kind erfährt, dass es einen eigenen Willen hat.
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Ihr Kind lernt den Umgang mit bisher unbekannten Emotionen.
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Ihr Kind lernt, mit Frustration umzugehen.
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Ihr Kind lernt selbstbestimmter und selbstbewusster durchs Leben zu gehen.
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Ihr Kind lernt in herausfordernden Situationen durchzuhalten und für das einzustehen, was es möchte.
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Ihr Kind entdeckt die Welt erstmal auch ohne den elterlichen Rückhalt.
Wir wollen, dass unsere Kinder diese Kompetenzen lernen! Daher ist es wichtig, dass wir unsere Kinder mit unserer Handlungen in der Autonomiephase in ihrer Entwicklungen fördern.
Wenn unsere Kinder in die Autonomiephase kommen, ist das natürlich immer eine große Herausforderung für alle Beteiligten!
Aber warum?
Weil unsere eigenen Kompetenzen als Eltern enorm auf die Probe gestellt werden! Und das immer und immer wieder, mehrmals täglich, über einen ganz schön langen Zeitraum! Das ist herausfordernd!
Eine gute Vorbereitung ist daher sehr sinnvoll.
Denn wir müssen wissen, dass egal was wir machen - unsere Kinder werden Wutanfälle haben! Es ist nicht das Ziel, dass sie nicht mehr ihre Grenzen austesten, ihre Gefühle ausleben oder sich ausprobieren, sondern dass wir sie und UNS selbst gut durch diese emotional herausfordernden Momente begleiten und ihnen lernen, wie sie mit ihren Emotionen umgehen lernen.
Und auch wir können in dieser Phase sehr viel über uns selbst lernen. Wie gehen wir mit heftigen Gefühlen um? Haben wir selbst gelernt unsere Emotionen zu regulieren?
Ich fand die Autonomiephase meiner Tochter sehr spannend, denn ich wurde in meinem Leben emotional noch nie so sehr herausgefordert, wie in diesen 1,5 Jahren!
Welche Kompetenzen brauchen wir als Eltern in dieser Phase:
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Viel Durchhaltevermögen
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Geduld und Zuversicht – das hört irgendwann wieder auf! Es wird leichter für uns, wenn wir auf die Gefühle und Bedürfnisse unserer Kinder eingehen!
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Verständnis - dass ein Wutanfall nichts mit uns zu tun hat. Das Kind hat einfach NOCH nicht gelernt, anders mit seinen Emotionen umzugehen. Wir lernen es ihm gerade JETZT in diesen Situationen und lernen braucht ZEIT und WIEDERHOLUNG!
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Sicherheit, dass das Verhalten ganz normal ist – im Gegenteil – sogar sehr gesund! Wir wollen Kinder, die autonom werden.
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Klare Grenzen setzen - umso klarer der Handlungsrahmen, in dem das Kind sich ausleben darf, umso einfacher.
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Eigene Psychohygiene in Form von Auszeiten und effizienten Strategien für unsere eigenen Emotionskontrolle. Denn wir sind Vorbilder für unsere Kinder und sie lernen Anhand unserer Reaktion wahrscheinlich am meisten.
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Ganz viel Quality Time mit unseren Kindern, um die Bindung nach herausfordernden Situationen wieder zu stärken!
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Gewaltfreie Kommunikation! Ein respektvoller Umgang ist sehr wichtig, auch wenn du auf Grund der Situation dein Kind Hochnehmen oder Halten musst, dann achte auf deine eigene emotionale Lage und deine Haltung deinem Kind gegenüber. Dein Kind merkt deine Intension hinter einer Handlung.
Wie gehen wir die Sache nun an?
Wir müssen VERSTEHEN, um welche Bedürfnisse, es unseren Kindern in dieser Phase besonders geht und diese Bedürfnisse verstärkt befriedigen, aber in einem Rahmen, den wir als Eltern vorgeben.
Dabei ist es wichtig, dass wir wissen, in welchen Situationen wir uns gerade befinden.
Dafür gibt es eine schöne Einteilung, die man auch das 3-Körbe Prinzip oder auch das Konzept der 3 Haltungen, nennt:
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Ist das eine Situation, in der das Kind ALLEIN BESTIMMEN darf?
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Oder ist es eine Situation, in der das Kind MITBESTIMMEN darf?
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Oder ist es eine Situation, in der die Eltern bestimmen MÜSSEN?
Umso besser ihr selbst die Situation in einen der drei Bereiche einteilen könnt, umso klarer ist die Situation für eure Kinder. In welchen Bereich eine Situation fällt, kommt natürlich auch auf das Alter und den Erfahrungsschatz eurer Kinder an.
Kinder brauchen einen klare Handlungsspielraum, der liebevoll, aber auch konsequent eingehalten wird. Wenn sie äußeren Halt durch uns erfahren, dann stärkt das ihren inneren Halt. So lernen sie sich mehr und mehr selbst zu regulieren, wenn Gefühle auftauchen.
Um also noch einmal auf die wichtigsten Bedürfnisse unserer Kinder in dieser Phase zurückzukommen. In der Autonomiephase haben die Kinder ein großes Bedürfnis nach:
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Selbstbestimmung
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Mitentscheidung
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Selbstwirksamkeit („Ich habe etwas entschieden und das passiert dann auch“)
Wenn wir wissen was unsere Kinder brauchen, können wir diese Bedürfnisse verstärkt in einem sicheren Rahmen in vielen Situationen im Alltag befriedigen.
Das Kind darf zum Beispiel entscheiden, was es heute anzieht. Es darf sich aus jeder Box ein Teil selbst aussuchen. Die Boxen stellen WIR zur Verfügung und definieren damit, was das Kind anziehen muss, zum Beispiel dem Wetter entsprechend. Dadurch bekommt das Kind aber subjektiv das Gefühl, es darf selbst entscheiden, was seine Bedürfnisse nach Autonomie befriedigt.
Und kurz noch einmal zur Erinnerung:
WIR WERDEN und WOLLEN DIE TROTZPHASE NICHT VERHINDERN! SIE IST WICHITG!
Was du noch wissen solltest:
Kinder fühlen sich genau so hilflos und ohnmächtig in einem Wutanfall, wie wir Erwachsene.
Eltern müssen lernen, sich emotional in diesen Situationen abzugrenzen. Wir sind Vorbilder! An unserem Verhalten lernen Kinder, wie man mit Emotionen umgeht.
Mir hat es oft geholten mir vorzustellen, dass ich gerade in der Situation nicht mit meinem eigenen Kind agiere, sondern mit einer Freundin/ einem Freund von meiner Tochter. Damit konnte ich mich besser emotionaler von der Situation abgrenzen.
Was kann noch helfen:
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Verständnis für das Gefühl zeigen - klare Grenzen beim Verhalten einfordern! "Ich sehe du bist wütend. Ich verstehe dich! Du darfst wütend sein. Das ist ok, aber du darfst mich nicht hauen. Hauen ist nicht ok!"
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Geh auf die Augenhöhe deines Kindes
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Das Kind bei der Lösungsfindung in einem ruhigen Moment miteinbeziehen. "Wenn du wütend bist, dann ist das manchmal sehr überwältigend. Was kannst du denn machen, damit es besser wird, außer zu hauen oder zu kratzen? Wollen wir gemeinsam überlegen?"
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Bei kleinen Kindern kann man auch ein oder zwei Idee nennen, wie zum Beispiel: "Soll ich die Wut aus dir rausschütteln oder wegkitzeln?
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Beschreibe was du siehst, um es deinem Kind einfacher zu machen, seine Emotionen zu verstehen und einzuordnen. Und damit kannst du dir auch selbst Rückmeldung holen, ob du gerade richtig liegst. „Ich sehe du bist wütend/ traurig / müde / hungrig / …! Das ist ok. Ich bin da für dich. Ich kenne das. Ich bin manchmal auch sehr (Gefühl einsetzen).“
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Berührungen können, müssen aber nicht helfen. Manchmal auch NOCH nicht und erst etwas später, wenn die ersten Emotionen schon wieder abklingen. Schau was dein Kind da braucht.
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Den Rahmen halten: Das Kind darf sich, oder andere nicht verletzt (auch die Eltern nicht). Fall es anfängt zu hauen, mit Dingen zu werfen, etc. müssen Eltern ganz klar eingreifen, in dem sie zum Beispiel bestimmt und ruhig sagen: „Stop, wir hauen nicht!“ (und dann den Arm halten). „Ich verstehe, dass du wütend bist und das ist ok. Aber Hauen ist nicht ok. Das tut mir weh. Das machen wir nicht. Du kannst auf den Boden stampfen / laut brüllen (wenn es gerade möglich ist) / in den Polster boxen / etc.“
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Eltern können sich selbst regulieren, in dem sie zum Beispiel von 60 runter zählen, 10x tief ein und ausatmen oder auch dem Kind die eigenen Gefühle kommunizieren. „Ich bin selbst auch so wütend / verzweifelt / etc. Ich verstehe dich so gut. Ich würde dich das so gerne machen lassen, aber es geht nicht, weil …! Ich verstehe dich. Ich werde jetzt ganz fest stampfen und meine Wut in den Boden drücken / mich ganz fest Schütteln damit die Wut von mir abfällt / etc."
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Selbst keine Angst vor den heftigen Emotionen haben und entspannt bleiben.
Was oft bei mir geholfen hat, ist zu versuchen die Situation kindgerecht zu erklären. In dem Fall mit der Straße, habe ich zu meiner Tochter gesagt: „Schau ich zeig dir was. Dann habe ich sie hochgehoben und ihr gezeigt, dass ich auf der Höhe meiner Augen „hier oben“ die Autos gut sehe. Dann haben wir uns beide auf ihre Höhe begeben und ich habe ihr versucht zu erklären, dass das Auto, das da kommt, sie nicht sehen kann und sie das Auto auch nicht, weil sie einfach noch nicht so groß ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam über die Straße gehen, weil mich das Auto sehen kann, weil ich einfach größer bin. Dann habe ich gesagt „Aber du wirst auch jeden Tag größer und dann kannst du irgendwann auch allein über die Straße gehen. Wollen wir zu Hause ein Maßband nehmen und dich mal abmessen und schauen, wie viel du jede Woche wächst?"
Gerade in dem Alter kann man, NACHDEM man das Kind EMOTIONAL ABGEHOLT und die Situation angesprochen hat, sehr gut mit Ablenkung arbeiten. Da wirkt am besten eine Aktivität, die etwas mit der Situation zu tun hat und auf das Bedürfnis des Kindes eingeht.
Welches Verhalten du wirklich vermeiden solltest und warum:
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Strafen und Drohungen: Es kann auch sein, dass eine Strafandrohung das Kind so verängstigt, dass es wirklich aufhört zu toben. Aber dann hat es nicht gelernt, mit seinen Emotionen umzugehen, sondern nur dass der Erwachsene mächtiger ist und dass es seine Emotionen unterdrücken muss. Damit erziehen wir spätere Erwachsene, die nicht gelernt haben, in gesunder Art und Weise Emotionen zu verarbeiten.
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Bestechung und Belohnung: Bestechung funktioniert oft, aber was lernt das Kind. Dass es etwas Tolles bekommt, wenn es sich trotzig verhält und dann aufhört. Kinder sind sehr schlau und es wird diese Strategie zu seinem Vorteil nutzen, sobald es herausgefunden hat, dass es funktioniert. Das Kind wird häufiger trotzig sein und du wirst dir immer bessere und tollere Belohnungen einfallen lassen müssen.
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Emotionale Erpressung: Es hilft auch bei manchen Kindern, wenn Eltern sagen „Dein Verhalten macht mich traurig. Du magst die Mama doch nicht traurig machen, oder? Hör jetzt auf!“ Das Kind lernt damit aber nur seine eigenen Emotionen zu unterdrücken. Es kommt in einen großen inneren emotionalen Konflikt, denn natürlich möchte es die Mama nicht traurig machen. Diese inneren Konflikte können sich später sehr stark auf die psychische Gesundheit auswirken.
Ich hoffe dir hat dieser Blog-Beitrag weitergeholfen.
Wenn du noch Fragen hast, schreibe mir gerne eine E-Mail unter [email protected] oder hol dir dein kostenloses Erstgespräch!
In meinem Elternseminar „Kleinkind“ lernst du noch viele weitere hilfreiche Tool und spannendes Hintergrundwissen zum Verhalten deines Kindes. Du hast auch die Möglichkeit dich mit anderen Eltern auszutauschen und vorab in einem geschützten Rahmen zu üben. Denn wir sind als Eltern immer Vorbilder für unsere Kinder und unsere Kinder lernen das meiste durch Beobachtung von uns. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in unseren Rollen sicher fühlen. Wissen und Übung schafft diese Sicherheit.
Alles Liebe,
Deine Nadja von WUNDERWELT KIND