In 10 Schritten zu gemeinsamen Lösungen ohne Streit - Die Familienkonferenz!

Nov 14, 2024
Mutter mit drei Kindern auf einer Wiese

Die Familienkonferenz ist ein Ritual, das einen Raum schafft, in dem Themen strukturiert besprochen werden können. Dabei kann es um alltägliche Themen, wie das Abendessen oder den nächsten Urlaub gehen, aber auch herausfordernde Themen, wie Verteilung der Hausarbeit, Konfliktthemen oder unausgesprochene Gefühle.

 

 

Aber zuerst mal: Warum sind Rituale mit Kindern wichtig?

Rituale sind besonders für Kinder sehr wichtig, da sie eine Möglichkeit bieten Verbindung mit anderen herzustellen. Und VerBINDUNG ist das Fundament einer harmonischen Familie. Jeder Mensch / Jedes Kind wünscht sich Anerkennung, Wohlwollen, Gleichwertigkeit, Geborgenheit, Respekt, körperliche Nähe und Liebe. Auf Grund unserer sozialen Natur brauchen wir andere, um diese Dinge zu verwirklichen. Rituale schaffen diesen besonders Raum, in dem man Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken kann und sich geborgen und angenommen fühlt. Rituale schaffen Struktur und damit Sicherheit, in einem Leben, dass von sehr viel Unsicherheit und Schnelllebigkeit geprägt ist.

Und so funktioniert die Familienkonferenz …

Schritt 1: Zeitraum vereinbaren

Alle Menschen jeden Alters aus einem gemeinsamen Haushalt treffen sich regelmäßig zu einem gemeinsam festgesetzten Zeitraum. Das kann einmal wöchentlich oder auch einmal monatlich sein, je nach Menge der Themen und Intensität innerhalb der Familie.

Ich habe den Familienrat damals in meiner Familie eingeführt, als ich und meine Tochter uns nur noch, wegen jeder Kleinigkeit angefaucht hatten. Wir hatten uns in einer Negativspirale verfangen und egal was der andere gemacht hat, es hat einander genervt – allein die Anwesenheit des anderen. Daher haben wir den Familienrat anfangs wöchentlich gemacht, um in die Routine zu kommen.

Vereinbart einen gemeinsamen Zeitpunkt und einen passenden Zeitraum. Wenn Kleinkinder anwesend sind, dann ist das Maximum eine halbe Stunde. Auch bei älteren Kindern würde ich maximal eine Stunde empfehlen. Lieber kürzer und effizient, als unkonzentrierte Kinder.

Schritte 2: Das Setting schaffen

Der Familienrat soll etwas sein, worauf sich alle freuen. Also mache ihn zu etwas Besonderem, wie einem gemütlichen Spieleabend. Es kann leckere Snacks geben oder einen leckeren Tee, Kakao.

Meine Tochter liebt zum Beispiel frische Maroni von einem bestimmten Maroni-Mann in unserer Gegend. Ich habe ihr zum Familienrat immer eine Handvoll mitgebracht und sie hat sich jedes Mal darauf gefreut.

Schaffe deiner Familie eine schöne Atmosphäre. Du kannst auch vorher für den Familienrat gemeinsam einen Kuchen backen oder für danach das Lieblingsessen der Familie kochen. Da sind eurer Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Schritt 3: Positiver Einstieg mit Freundlichkeit

Es ist ratsam mit einer „Freundlichkeitsrunde“ zu beginnen. Dabei sagt jeder dem anderen, was er an ihm gut findet oder an ihm schätzt bzw. wofür er in der Familie dankbar ist. Am besten ihr beschränkt euch auf 1-3 Dinge, je nach Familiengröße. Diese Einstiegsrunde sollte maximal 5 Minuten dauern.

Schritt 4: Ämter verteilen

Die Familienkonferenz arbeitet nach dem demokratischen Prinzip. Das heißt, nicht nur die Eltern geben immer den Ton an und führen durch die Struktur.

Die „Ämter“, ProtokollführerIn und LeiterIn werden am Anfang jeder Familienkonferenz verteilt. Gerade auch Kinder und Jugendliche sollen diese Ämter übernehmen dürfen.

Ich empfehle die führenden Rollen ab einem Alter von 8-10 Jahren, je nach Reife des Kindes, zu verteilen und Kinder und Jugendliche generell ab der zweiten oder dritten Familienkonferenz übernehmen zu lassen, sobald sie von den Eltern gelernt haben, wie man diese Rollen ausführt. Wir sind als Eltern immer ein Vorbild für unsere Kinder. Sie lernen in dem sie uns nachahmen.

In der ersten Familienkonferenz war ich Leiterin und meine Tochter Protokollführerin. Wir haben vorher besprochen, wie so ein Protokoll zu führen ist – Datum, Namen der Anwesenden, usw. In der zweiten Sitzung haben wir dann Rollen getauscht. Leyla war damals 9 Jahre alt. Ich gebe ehrlich zu, die Kontrolle komplett abzugeben, war für mich am Anfang gar nicht so leicht, aber ich war sehr positiv überrascht mit wie viel Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein, sie diese Rolle übernommen hat.

Es können für jüngere Kinder auch noch andere Positionen vergeben werden, wie zum Beispiel „Schiedsrichter“ – der oder die sich darum kümmert, dass alle aussprechen dürfen oder „Snack Beauftragte/r“ – der oder die sich darum kümmert, dass immer ausreichend Snacks am Tisch stehen. Seid da als Familie kreativ und versucht, wenn möglich so viele Ämter, wie Personen zu schaffen. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie eine Aufgabe innerhalb der Gemeinschaft haben. Das definiert ihren Wert für die Familie mit.

Schritt 5: Regeln vereinbaren

Zu Anfang muss sich auf gemeinsame Regeln geeinigt werden, damit diese dann auch innerhalb des Prozesses eingefordert werden können. Das bietet der Struktur auch Sicherheit. Dieser Schritt passiert meistens nur im ersten Familienrat. Die Regeln können aber natürlich erweitert werden.

Unsere wichtigsten Regeln waren:

  • Jeder hat das Recht ohne Unterbrechung zu sprechen

  • Freiheit des Ausdrucks (ich darf weinen, wütend sein, auch mal laut werden)

  • Keine Konsequenzen, keine Strafen (für Dinge, die gesagt werden)

  • Handys werden ausgeschaltet

Am besten ihr einigt euch auf die 3! wichtigsten Regeln. Weniger ist manchmal mehr, vor allem wenn jüngere Kinder anwesend sind.

Schritt 6: Themen sammeln

Danach werden erst mal alle Themen gesammelt und von der/dem ProtokollführerIn aufgeschrieben. Im nächsten Schritt wird eine Reihung der Themen vereinbart. An dieser Stelle kann es manchmal schon tricky werden. Die LeiterIn achtete darauf, dass alle ihre Argumente vorbringen können und eine faire Diskussion entstehen kann. Alle Personen am Tisch sollten zu Wort kommen. Es ist aber auch in Ordnung, wenn sich eine Person nicht äußern möchte. Allerdings ist dann auch zu besprechen, dass Vereinbarungen, dann auch für diese Person gelten. Gerade Jugendliche sind oft am Anfang skeptisch, aber wir sollten versuchen ihnen hier wirklich den Raum zu geben, komplett ehrlich und offen zu sein, ohne Angst vor Konsequenzen.

Themen sollten dann nach den Kriterien „Dringlichkeit und Wichtigkeit“ gereiht werden. Falls es dennoch durch Argumentation und Verhandlung zu keiner Einigung kommt, kann abgestimmt werden. Ein sehr hilfreicher Verhandlungstipp ist auch die „Geben-Nehmen“- Strategie. Dabei biete ich dem anderen etwas an, von dem ich weiß, dass er es möchte und komme so meinem Gegenüber entgegen, im Austausch für etwas, was ich möchte.

Meine Tochter, die diese Technik bereits kennt, hat zum Beispiel einmal zu mir gesagt: „Ok, dir ist das Thema sehr wichtig, dann fangen wir mit deinem Thema an, aber dafür besprechen wir danach zwei meiner Themen, ok?“

Schritt 7: Thema für Thema besprechen

Jetzt wird das erste Thema besprochen. Nach einer festgelegten Reihenfolge, die man sich vorher vereinbar, darf nun jeder seine Meinung zu dem Thema sagen – OHNE UNTERBROCHEN oder BEWERTET zu werden. Am besten darauf achten, dass in sogenannten „ICH-Botschaften“ gesprochen wird.

„Ich bin verärgert, weil …“ / „Ich bin traurig, weil …“ / „Ich bin überlastet, weil …“ / „Ich würde mir wünschen, dass ich mehr Unterstützung erhalte, weil …“ usw.

Wurden alle Personen gehört und wurden alle Argumente aufgeschrieben, dann wird darüber gesprochen. Am besten funktioniert hier das gegenseitige Fragen, um tiefer zu verstehen, warum es allen geht. Danach geht es zur Lösungsfindung.

Lösungen finden – Brainstormen – ein kreatives Miteinander

Wichtig auch hier, dass jeder in seiner Rolle bleibt und die Erwachsenen nicht wieder unbewusst die Führung übernehmen und bereits Lösungen vorgeben.  

Es ist leider unter Erwachsenen ein weit verbreitetes Vorurteil, dass wir überlegen und allwissend sind, und das Recht hätten immer alles zu bestimmen, nur weil wir älter sind. Es stimmt – wir haben mehr Lebenserfahrung. Aber Kinder wissen oft besser, was SIE brauchen und bergen ein unglaublich kreatives Potential für Lösungen in sich. Und das ist genauso gleichwertig, wie Lebenserfahrung.

Wenn wir als Erwachsene unsere Rolle als Bestimmer aufgeben und lernen zuzuhören, dann kann ein verantwortungsbewusstes, demokratisches, achtsames Miteinander entstehen.

Um einen kreativen Prozess zu starten ist das „Brainstorming“ – übersetzt „Gehirn Sturm“, eine großartige Möglichkeit. Bei dieser Technik sagen alle Personen am Tisch wild durcheinander, was ihnen zu dem Thema für Lösungen einfallen. Das können „nachvollziehbare“ aber auch ganz „verrückte“ Ideen sein. Alles wird aufgeschrieben, OHNE ZU BEWERTEN ODER ZU KOMMENTIEREN. Kinder lieben diese Technik, weil sie noch einen viel leichteren Zugang zu ihrer Kreativität haben. Hier kommen oft die tollsten Ideen, an die wir Erwachsene nie gedacht hätten.

Schritt 8: Lösungsideen abwägen, vergleichen und besprechen

Im nächsten Schritt werden die Lösungsideen besprochen. Es darf wieder argumentiert und gereiht werden. Auch da wieder darauf achten, dass alle ausreden dürfen, jeder wieder zu Wort kommt und ein respektvoller Umgang miteinander eingehalten wird.

Schritt 9: Lösung finden und Vereinbarungen treffen

Im besten Fall einigt man sich EINSTIMMIG an dieser Stelle auf eine gemeinsame Lösung, mit der alle zufrieden sind und die für alle NACHVOLLZIEHBAR ist. Das heißt, dass die Argumente jeden am Tisch davon überzeugt haben, dass das die beste Lösung ist.

Wenn noch Zeit ist, wird das nächste Thema nach dem gleichen Ablauf – Jeder sagt seine Meinung – Brainstorming – Lösungsoptionen besprechen – Einigen – abgehandelt.

Ist die Zeit des Familienrats abgelaufen, folgt das Abschlussritual! Die anderen Themen werden im nächsten Termin mit der bereits getroffenen Reihenfolge besprochen.  Natürlich dürfen beim nächsten Mal weitere Themen dazu kommen und bereits getroffenen Vereinbarungen neu verhandelt werden. Am besten ihr hängt in der Wohnung einen Block auf und falls unter der Woche Themen auftauchen, dann schreibt ihr sie da drauf.

Keine Sorge in den ersten Wochen kann es sein, dass sehr viele Themen aufkommen – das ist normal und wird schlagartig weniger.

Bei mir und meiner Tochter waren es auch einige Themen am Anfang. Durch den Familienrat habe ich erkannt, wie viel unausgesprochene Themen unseren Familienalltag eigentlich belastet hatten und ein harmonisches Miteinander erschwert haben, weil wir uns nie die Zeit genommen haben, diese Themen in Ruhe und strukturiert nachzubesprechen. Allein das Thema Hausarbeit hat in vielen verschiedenen Situationen pro Tag Konflikte erzeugt und es konnte mit einer gemeinsamen Einigung zu diesem Thema  im Familienrat Ruhe einkehren.

Schritt 10: Vereinbarungen sind nicht für immer fixiert

Für mich, und vor allem auch für meine Kinder, war es wichtig zu wissen, das Vereinbarungen wieder verhandelbar sind. Das gab ihnen Sicherheit und sie haben auch mal die eine oder andere Idee ausprobieren können, weil sie wussten, wenn es für sie nicht stimmig ist, können wir in der nächsten Woche neu verhandeln. Lösungen und Vereinbarungen gelten immer bis zum nächsten Familienrat. Dann können sie neu verhandelt werden. Innerhalb der Woche wird nicht über vereinbarte Themen diskutiert. Das ist auch eine ganz wichtige Regel.

UND was ist, wenn man zu keiner Lösung kommt?

Dann ist man NOCH nicht zu einer Lösung zu diesem Thema gekommen. Der Leiter sagt dann einfach so etwas wie …

„Heute haben wir dafür NOCH keine Lösung gefunden. Wir verschieben dieses Thema auf die nächste Familienkonferenz und in der Zwischenzeit überlegen alle, was wir da noch tun können.“

Es ist normal, dass nicht immer für alles gleich Lösungen gefunden werden können. Manchmal brauchen Lösungen, um zu wachsen.

„Ich habe mit meinen Kindern oft die Erfahrungen gemacht, dass eine Woche Bedenkzeit plötzlich zu Verständnis geführt hat. Fast so, als müsste sich das Gehörte erst im Gehirn sortieren und setzen. Und mir ging es manchmal auch so.“

Ist es ein Thema, dass wirklich dringlich ist, kann eine Zwischenlösung vereinbart werden. Da ist es eine Möglichkeit Kinder und Jugendliche zwischen zwei oder drei vorher ausgewählten Optionen wählen zu lassen.

Hier noch zum Abschluss 10 wirklich gute Gründe, warum ihr die Familienkonferenz mit euren Kindern einführen solltet:

  1. Gleichwertigkeit:

    Entscheidungen, die gemeinsam statt „von oben herab“ getroffen werden, werden von Kindern besser mitgetragen. Sie fühlen sich respektiert und gleichwertig behandelt.

  1. Konfliktthemen ohne akute Emotionen besprechen

    Es geht hier um die Hintergründe. Wir sind alle neugierig, warum jemand etwas möchte, ohne viel „Geschimpfe“ und „Geheule“. Durch die zeitliche Distanz zum Konflikt selbst entsteht eine entspannte Atmosphäre.

  2. Feedback geben:

    Die Familienkonferenz bietet eine hervorragende Möglichkeit, den anderen  wertschätzende Rückmeldung zu geben – in Form von „Ich-Botschaften“ – ich sage dir, welche Gefühle dein Verhalten in mir ausgelöst haben.

  3. Feedback bekommen:

    Jeder bekommt Feedback. Verblüffend gute Rückmeldung kommen übrigens auch schon von Kleinkindern! Es tut allen gut, mal über das eigene Verhalten zu reflektieren und zu erfahren, wie es den anderen dabei geht. Dabei nie mit Lob sparen!

  4. Lösungen entstehen durch Verstehen:

    Im Alltag ist oft nicht die Zeit, um wirkliches Verständnis zu erzeugen. Kinder sehen viele Problemfelder im Familienrat tatsächlich ein und tragen dann aktiv zur Lösung bei.

  5. Kindliche Kreativität nutzen

    Kinder haben manchmal wirklich großartige unglaublich kreative Ideen, wie man einen Konflikt lösen könnte! Beneidenswert! Und dieses Potenzial kann man im Familierat nutzen.

  6. Win-Win für Eltern und Kinder:

    Im Familienrat geht es nicht um „Recht haben“. Jede Meinung hat Berechtigung und alle Personen sind gleichwertig. Keiner verliert, alle gewinnen.

  7. Fördert das Demokratie-Verständnis und den gegenseitigen Respekt:

    Durch den demokratischen Ansatz in der Familienkonferenz werden partnerschaftlich neue Lösungswege durch gegenseitiges Verständnis gefunden.

  8. Kinder lernen mit  Konflikten umzugehen:

    Der Familienrat gibt Kindern ein Tool in die Hand, wie sie lernen konstruktiv mit Konflikten umzugehen. Diese Konfliktlösungskompetenzen können sie dann auch in ihrem Alltag verwenden. Eine der besten Lektionen, die man den eigenen Kindern mit auf den Weg geben kann!

  9. Wissenschaftlich fundiert:

    Die Familienkonferenz basiert auf Konzepten des Psychologen Dr. Thomas Gordon („Familienkonferenz“) und des Psychiaters und Sozialtherapeuten Professor Rudolf Dreikurs („Familienrat“) und ist über viele Jahre erprobt.

Ich wünsche euch viel Spaß dabei, dieses wertvolle Tool in euren Familienalltag zu integrieren und hoffe, dass ich euch mit diesem Blogbeitrag ausreichend Anleitung geben konnte.

Wenn du noch Fragen hast, schreibe mir gerne eine E-Mail unter [email protected].

In meinen Trainings lernen Eltern dieses Tool noch detaillierter kennen und haben auch die Möglichkeit vorab in einem geschützten Rahmen zu üben, um sich erst Mal selbst die Kompetenzen und das Wissen anzueignen. Denn wir sind als Eltern Vorbilder für unsere Kinder und unsere Kinder lernen durch Beobachtung von uns. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns in unseren Rollen sicher fühlen. Und Wissen und Übung schafft Sicherheit.

Falls du gerne Unterstützung möchtest, biete ich ein kostenloses Erstgespräch, in dem wir gemeinsam überlegen, wie du die Familienkonferenz oder andere Tools am besten in euren Familienalltag integrieren kannst.

Alles Liebe, 

Deine Nadja von WUNDERWELT KIND